Klinikärzte und Klinikpflegekräfte stehen gemeinsam für die Notfall- und Akutversorgung
der Patienten in den Kliniken engagiert zur Verfügung. Ihre Zusammenarbeit ist
eine der wichtigsten Voraussetzungen um gute und sichere Versorgungsqualität zu
garantieren. Patienten und Angehörige haben ein Recht auf diese gesicherte Versorgung.
Der seit Monaten anhaltende und nun weiter organisierte Ärztestreik belastet Pflegekräfte
in außerordentlicher Weise. Was die Ärztegewerkschaft den Pflegenden an
Mehrbelastung zumutet ist unerträglich und darf nicht akzeptiert werden.
Waren es bisher 35 Universitätskliniken so stehen jetzt 700 Kliniken auf der Streikliste.
Konfrontiert wird das Pflegepersonal zusätzlich in der Haupturlaubszeit mit weitere
Mehrarbeit, warten auf ärztliche Entscheidungen, zusätzliche organisatorische
Maßnahmen, Überstunden, Verzicht auf geplante freie Tage, vertröstende, ausgleichende
Kommunikation bei Patienten und Angehörige etc. um Versorgungsengpässe
zu verhindern. Das von Pflegekräften bisher gezeigte Verständnis und die über lange
Strecken gezeigte Geduld brechen auf.
Der Deutsche Pflegerat bedauert zutiefst, dass die Ziele (bessere Vergütungsregelungen,
verbesserte Arbeitsbedingen und einen eigenen Tarifvertrag) des Marburger
Bundes zu großen Teilen auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen werden.
Dies können und dürfen wir nicht lautlos zulassen. Pflege ist und will weiterhin zuverlässige
und stabile Zusammenarbeit und will kompetenter Ansprechpartner der Patienten
und deren Angehörigen bleiben. Dies ist allerdings nur mit einer Personalausstattung
und mit verbindlichen Rahmenbedingungen möglich, die nicht durch die
Streikergebnisse vernichtet werden.
Fakten:
Die Entsolidarisierung der Ärzteschaft durch die Streikaktivitäten des Marburger
Bundes werden nachhaltige Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der Klinikbeschäftigten
haben. Mit einem eigenen Tarifvertrag verfestigt sich weiter das dominierende,
selbst definierte und selbstbestimmte Medizinsystem. Dieser Tatbestand führt die
Krankenhäuser in tiefere wirtschaftliche Notlagen, wenn nicht Gegenmaßnahmen,
z.B. mehr Geld, in die Krankenhausbudgets fließen, sofortige Umstrukturierungsprogramme
und Neuordnung der Aufgaben eingeleitet werden. Bleibt es bei der gedeckelten
Ausgabensteigerungsrate von 0,63% so kommt es unweigerlich zum direkten
Stellenabbau in der Pflege.
Der einseitig stattfindende schleichende Personalabbau von Pflegekräften (32.000
VK) seit 2003 in den Klinken konnte bisher nur durch stringente organisatorische
Maßnahmen und innovative Personal- und Gestaltungskonzepte der verantwortlichen
Pflegemanager/innen kompensiert. Hinzu kommt, dass der Pflege zusätzlich durch
den kalkulierten Bettenabbau weitere Personalverluste drohen. Im gleichen Zeitraum
wurde durch 2.500 neue Stellen im ärztlichen Bereich eine deutliche Verbesserung
vorgenommen. Daher gibt es unter den aktuell neuen Bedingungen keine Spielräume
mehr, Belastungsausgleiche herzustellen.
Unter diesen Entwicklungen lässt sich ein Pflegenotstand prognostizieren.
Konsequente Organisationsveränderungen werden von großen Teilen der Ärzteschaft
abgelehnt. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hätten sich die Ärzteorganisationen
schon seit Jahren auf Erneuerungen einlassen müssen.
Das Pflegemanagement setzt sich selbstverständlich dafür ein, dass es eine vernünftige
Harmonisierung der Erfordernisse zwischen Leistungsumfang, Arbeitsintensität,
Arbeitszeitplanung und Dienstplangestaltung gibt. Alleine die vielen Arbeitszeitmodelle
die erprobt sind und zusätzlich noch mit 700 Mio. € BMG-Mittel unterstützt
werden, hätten den Ärzten die Chance gegeben, sich neu aufzustellen.
Mit den Forderungen des Streiks werden die eigentlichen Problemfelder, die das
tägliche Arbeiten und die Zusammenarbeit der Berufsgruppen untereinander erheblich
belasten verdeckt. Aus der Sicht des Deutschen Pflegerates muss hier Transparenz
zu den wirklichen Verhältnissen geschaffen werden, um keine Schieflage in der
Bevölkerung zu bekommen. Den Patienten und der Bevölkerung wird mit den
Streikargumenten vorgemacht, dass die Ärzteschaft ausgebeutet und schlechtesten
Arbeitsbedingungen ausgesetzt sei.
Die Einsicht, dass durch interne Prozessveränderungen eine echte Verbesserung der
Arbeitsbedingungen erreicht werden kann, wird ausgeblendet. Unausweichlich ist die
Umgestaltung der Ablauforganisation, weg von einer Funktionsbetrachtung hin zur
Prozessorientierung. Dies erfordert die Bereitschaft sich von Berufsegoismen, tradierten
hierarchischen Strukturen und liebgewordenen Gewohnheiten zu lösen und
sich der Neuordnung zu stellen. So wäre bei Einführung eines Schichtmodells wie es
die Pflege seit Jahren kennt, keine einzige ärztliche Planstelle zusätzlich erforderlich.
Dies würde allerdings bedeuten, dass sich endlich etwas in der tradierten und extrem
hierarchischen Organisation des Arztsystems ändern müsste. Die Pflege hat hier vor
langer Zeit ihre Hausaufgaben gemacht.
Würden die Kernkompetenzen, Aufgabenfelder und Tätigkeiten der Profession „Pflege“
ärztlicherseits institutionalisiert akzeptiert, respektiert und anerkannt werden,
könnten sich solche egoistischen gewerkschaftlichen Prozesse nicht entwickeln.
Wir hoffen, dass die Vernunft zu Gemeinsamkeiten siegt und die einseitigen, unangemessenen
Forderungen sich nicht durchsetzen.
Der Arbeitskampf könnte aus unserer Sicht ausgebremst werden, wenn
die Arbeitsbedingungen für Pflege und Ärzte in gleichem Maße Verbesserung erfahren
könnten durch:
Umgestaltung der Behandlungs-Abläufe (Prozessorientierung, gemeinsame Patientendokumentation,
Interprofessionelle Behandlungspfade,
Abstimmung der Arbeitszeitregelungen
Neuordnung der Aufgaben, Tätigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
Gemeinsame Fort- und Weiterbildung
In Krankenhäusern wo das Pflegemanagement bereits die Kompetenz und Verantwortung
für gezielte Prozesse z. B. Aufnahme- und Entlassmanagement (CaseManagement)
und Patientenmanagement übernommen hat, Pflegeexperten
schmerztherapeutische Dienste wahrnehmen, Wundmanagement und Ernährungsberatung
offiziell durchgeführt wird und verantwortlich medizinisch-therapeutische
Leistungen wie z.B. Insulintherapie, Infusionstherapieleistungen zum Tätigkeitsbereich
der beruflichen Pflege gehören, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen
Pflegekräften, Ärzten und Patienten zunehmend strukturierter und systematischer
und reibungsloser.
Der Deutsche Pflegerat fordert die Bundesregierung auf, eine Personalbemessungsregelung
einzuführen, die die sichere pflegerische Versorgung der Patienten in Krankenhäusern
gewährleistet. Darüber hinaus ist endlich rechtlich verbindlich die pflegerische
Autonomie auch im Bereich der medizinischen Betreuung neu zu regeln. Der
Deutsche Pflegerat unterstützt alle Aktivitäten die Pflegenden und Ärzten gemeinsam
zu verbesserten Arbeitsbedingungen verhelfen. An erster Stelle steht für uns eine
sichere klinische Behandlung, Fürsorge und das Wohl der Patienten.
Berlin im Juni 2006
Marie-Luise Müller
Präsidentin
Deutscher Pflegerat
Geisbergstr.39
10777 Berlin